Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 15.04.2024 (Az. 6 K 2425/21) entschieden, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) für die Jahre 2013 bis 2018 wegen angeblicher Mittelfehlverwendung unzulässig war. Das Gericht stellte klar, dass eine Zurechnung von eigenmächtigem Handeln des Geschäftsführers der Körperschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen kann. Insbesondere sei zu prüfen, ob eine grobe Vernachlässigung der Überwachungspflichten durch Kontrollorgane vorliegt.
Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn sie gemäß § 52 AO die Allgemeinheit selbstlos auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet fördert. Die Selbstlosigkeit ist insbesondere in § 55 AO geregelt. Demnach dürfen Mittel der Körperschaft ausschließlich für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AO), und keine Person darf durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 AO). Wird eine Mittelfehlverwendung festgestellt, kann dies gemäß § 63 AO zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Zweck die Förderung gemeinnütziger und mildtätiger Zwecke gemäß § 52 bzw. § 53 AO ist. Die Geschäftsführerin erhielt ab 2009 eine durch den Aufsichtsrat genehmigte Vergütung. Ab 2013 kam es jedoch zu eigenmächtigen Gehaltserhöhungen, die ohne ordnungsgemäße Beschlüsse des Aufsichtsrats durch die Geschäftsführerin und den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats umgesetzt wurden.
Die eigenmächtigen Änderungen der Vergütung wurden durch Täuschungen gegenüber dem Aufsichtsrat verschleiert, etwa durch Weglassen relevanter Dokumente in den Berichtsunterlagen. Auch Wirtschaftsprüfer, die mit der Prüfung der Vergütungen beauftragt waren, stellten keine Auffälligkeiten fest. Erst 2017, nach einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz, wurden die unautorisierten Gehaltserhöhungen entdeckt. Es stellte sich heraus, dass die Geschäftsführerin seit 2013 zahlreiche Maßnahmen zur Verschleierung ergriffen hatte, darunter die Anweisung, belastende Unterlagen zu vernichten.
Das Finanzamt warf der Klägerin vor, die überhöhten Vergütungen würden eine Mittelfehlverwendung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen und es sei daher das Selbstlosigkeitsgebot verletzt. Aufgrund dessen wurde die Gemeinnützigkeit der Körperschaft für die Jahre 2013 bis 2018 aberkannt. Die Klägerin argumentierte, dass die eigenmächtigen Handlungen der Geschäftsführerin und des Aufsichtsratsvorsitzenden ihr nicht zugerechnet werden könnten, da der Aufsichtsrat weder Kenntnis von den Vorgängen noch Anlass zur Überprüfung gehabt habe.
Das FG Düsseldorf entschied, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Klägerin für die Jahre 2013 bis 2018 unrechtmäßig war. Der Senat stellte fest, dass die eigenmächtigen Handlungen der Geschäftsführerin und des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht der gGmbH zugerechnet werden konnten, da keine grobe Verletzung der Überwachungspflichten durch den Aufsichtsrat vorlag. Zwar habe der Aufsichtsrat bei der Überwachung der Geschäftsführerin Sorgfaltspflichten verletzt, indem er die Vergütung nicht regelmäßig kontrollierte und die Beschlüsse über die Anwendung des Public Corporate Governance Kodex (PCGK), insbesondere zur Offenlegung der Geschäftsführervergütung, nicht vollständig umsetzte. Jedoch sei keine ungewöhnlich hohe und unentschuldbare Pflichtverletzung erkennbar, die für eine Zurechnung erforderlich wäre.
Das Gericht betonte, dass die Geschäftsführerin und der Aufsichtsratsvorsitzende erhebliche kriminelle Energie aufgewandt hätten, um die Täuschung zu verschleiern. Der Aufsichtsrat habe auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen und Berichte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die keine Beanstandungen aufwiesen, keinen Anlass gehabt, die Vergütungsstruktur zu hinterfragen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats hätten daher in gutem Glauben gehandelt.
Auch liege kein Verstoß gegen das Selbstlosigkeitsgebot gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO vor. Im vorgelagerten Zivilverfahren hatte das Landgericht bereits festgestellt, dass die gGmbH durch die eigenmächtigen Handlungen der Geschäftsführerin geschädigt wurde und Schadensersatzansprüche gegen die Verantwortlichen bestünden. Das Gemeinnützigkeitsrecht hingegen fordere ein gezieltes Begünstigen einer Person durch die Körperschaft, welches von einer Schädigung abzugrenzen sei. Eine solche Begünstigung schloss das FG vorliegend wegen des Urteils des Landgerichts aus. Außerdem habe die Körperschaft nach Bekanntwerden der Vorfälle angemessen reagiert, unter anderem durch die fristlose Kündigung der Geschäftsführerin und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Letztlich sah das FG Düsseldorf daher keine Anhaltspunkte für ein gemeinnützigkeitsschädliches Verhalten der Klägerin.
Die Entscheidung zeigt, dass selbst schwerwiegende Verfehlungen einzelner Verantwortlicher nicht zwangsläufig zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen, wenn keine grobe und unentschuldbare Verletzung der Überwachungspflichten vorliegt. Für gemeinnützige Organisationen unterstreicht das Urteil die Bedeutung eines funktionierenden Überwachungs- und Kontrollsystems, einschließlich der Einhaltung von Transparenzstandards und der genauen Prüfung von Vergütungsregelungen.
Das Urteil dürfte eine wichtige Orientierungshilfe für ähnliche Fälle bieten und stärkt die Position gemeinnütziger Körperschaften, die sich gegen die Zurechnung individueller Fehlhandlungen zur Wehr setzen. Dennoch mahnt es zu verstärkter Vorsorge: Kontrollorgane sollten regelmäßige Prüfungen durchführen und die Einhaltung von Governance-Regeln sicherstellen, um Missbrauch vorzubeugen. Falls Sie Fragen zu angemessenen Geschäftsführervergütungen haben oder ein entsprechendes Compliance-System etablieren wollen, kommen Sie gern auf uns zu.
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