Das Landgericht (LG) Essen hat mit Urteil vom 31.01.2025 (Az. 2 O 234/23) entschieden, dass der Landesvorstand eines Verbands ohne ausdrückliche Satzungsermächtigung nicht befugt ist, ein einzelnes Mitglied des Vorstands, insbesondere ein vom Gewerkschaftstag (Mitgliederversammlung) gewähltes Vorstandsmitglied, abzuberufen. Die hierdurch gefasste Beschlussfassung sei nichtig und könne auch durch eine nachträgliche Genehmigung des Gewerkschaftstags keine rückwirkende Wirksamkeit erlangen.
Die rechtliche Beurteilung der Abberufung von Organmitgliedern in Vereinen oder verbandsähnlichen Strukturen richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), insbesondere nach § 27 BGB. Danach obliegen die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder grundsätzlich der Mitgliederversammlung, sofern die Satzung keine abweichende Regelung trifft. Diese Vorschrift ist Ausdruck des Demokratieprinzips innerhalb von Körperschaften und sichert die Einbindung der Mitglieder in zentrale Personalentscheidungen.
Die Auslegungskompetenz der Satzung bestimmt, ob ein untergeordnetes Gremium, wie ein Vorstand oder Ausschuss, zur Abberufung berechtigt ist. Fehlt eine explizite Satzungsermächtigung, kann ein Vorstand grundsätzlich keine seiner eigenen Mitglieder abberufen, auch nicht mittelbar durch Ausschluss oder Amtsenthebung.
Die Klägerin war als vom Gewerkschaftstag (ähnlich der Mitgliederversammlung) gewähltes Mitglied des Landesvorstands sowie als stellvertretende Vorsitzende eines Landesverbands einer Gewerkschaft tätig. Der beklagte Verband, ein selbstständiger Landesverband mit rund 48.000 Mitgliedern, gliedert sich satzungsgemäß in mehrere Gremien, darunter den Gewerkschaftstag als oberstes Organ, den Landesvorstand, den geschäftsführenden Ausschuss und den gesetzlichen Vorstand im Sinne von § 26 BGB. Die Klägerin wurde nach ihrer Wahl für die Dauer von vier Jahren bestellt.
Zwischen der Klägerin und anderen Vorstandsmitgliedern kam es im weiteren Verlauf zu Spannungen. Die Klägerin hatte unter anderem ein Vorstandsmitglied wegen übler Nachrede angezeigt, gegen Beschlüsse von Fachgruppen Einspruch eingelegt und die Schiedskommission angerufen. Im März 2023 fasste der Landesvorstand daraufhin einen Beschluss, in dem er das Verhalten der Klägerin als „gewerkschaftsschädigend“ rügte und sie aufforderte, ihr Amt niederzulegen.
Nachdem die Klägerin nicht zurücktrat, wurde sie durch einen Beschluss des geschäftsführenden Ausschusses mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben entbunden, die sie im Auftrag des Landesvorstands und anderer Gremien wahrnahm. In der Folge beschloss der Landesvorstand in einer weiteren Sitzung die formelle Abberufung der Klägerin von allen Ämtern, insbesondere als stellvertretende Vorsitzende, und untersagte ihr jede weitere Repräsentation für den Verband.
Die Klägerin rügte die Unzuständigkeit des Landesvorstands für diese Maßnahme. Die Satzung des Beklagten sah vor, dass die Wahl und Bestätigung der Vorstandsmitglieder ausschließlich durch den Gewerkschaftstag erfolgt. Eine Regelung zur Abberufung durch den Landesvorstand war nicht enthalten. Der Verband bemühte sich daraufhin um eine nachträgliche Genehmigung der Abberufung durch den Gewerkschaftstag und leitete zudem ein Satzungsänderungsverfahren ein, um dem Landesvorstand künftig entsprechende Kompetenzen einzuräumen. Während der Durchführung des Gewerkschaftstags wurde die Abberufung rückwirkend genehmigt und eine neue stellvertretende Vorsitzende gewählt.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses sowie hilfsweise dessen gerichtliche Aufhebung.
Das LG Essen stellte klar, dass der Landesvorstand für die Abberufung der Klägerin von ihrem Amt als stellvertretende Vorsitzende nicht zuständig war. Nach Überzeugung der Kammer konnte sich der Landesvorstand weder auf eine ausdrückliche Satzungsregelung noch auf eine konkludente Ermächtigung stützen, um die Klägerin wirksam abzuberufen. Maßgeblich sei, dass die Bestellung der Klägerin durch den Gewerkschaftstag erfolgt war und somit ausschließlich diesem Organ auch die Abberufungskompetenz zukomme.
Die von der Beklagtenseite angeführte Kooptierungskompetenz bei vorzeitigem Ausscheiden einzelner Vorstandsmitglieder, sei nach Ansicht des Gerichts ungeeignet, eine allgemeine Abberufungsbefugnis des Landesvorstands zu begründen. Vielmehr diene diese Regelung lediglich dazu, bei vorzeitigem Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds eine interimistische Besetzung bis zur regulären Wahl durch den Gewerkschaftstag sicherzustellen. Eine solche kommissarische Beauftragung könne jedoch die förmliche Abberufung nicht ersetzen.
Auch eine nachträgliche Genehmigung des Abberufungsbeschlusses durch den Gewerkschaftstag vermag die ursprüngliche Unwirksamkeit nicht zu heilen. Der Gewerkschaftstag könne zwar selbst wirksam eine Abberufung beschließen, nicht jedoch rückwirkend eine unzuständige Entscheidung des Landesvorstands legitimieren. Die Kammer betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung der formellen Zuständigkeitsverteilung in Verbandsorganen, deren Missachtung zur Nichtigkeit der Maßnahme führe. Eine rückwirkende Genehmigung ändere nichts an der ursprünglichen Unzuständigkeit und damit der Nichtigkeit des Beschlusses.
Ferner verwarf das Gericht das Argument, wonach aus Gründen der Eilbedürftigkeit oder Zweckmäßigkeit eine Kompetenzverschiebung auf den Landesvorstand zulässig sei. Eine faktische Dringlichkeit könne die gesetzlichen und satzungsmäßigen Zuständigkeiten nicht außer Kraft setzen.
Die Entscheidung des LG Essen verdeutlicht in aller Klarheit die Grenzen interner Vereinsautonomie und betont die strikte Bindung an die satzungsmäßige Kompetenzverteilung. Organe eines Vereins, die nicht satzungsgemäß zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern legitimiert sind, können derartige Maßnahmen nicht wirksam treffen. Dies gilt selbst dann, wenn das zuständige Organ nachträglich eine Zustimmung erteilt. Eine rückwirkende Heilung der ursprünglichen Unzuständigkeit scheidet aus.
Eine Satzung sollte daher im Idealfall eindeutige Regelungen zu Bestellung, Abberufung und kommissarischer Vertretung enthalten, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Falls Sie ähnliche Fragestellungen oder weitere Informationen zur rechtssicheren Ausgestaltung von Satzungen und interner Vereinsorganisation benötigen, wenden Sie sich gerne an die Expertinnen und Experten von SCHOMERUS.
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