Mehr als 100 gemeinnützige Organisationen haben einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz verfasst, in dem sie wiederholt und mit Nachdruck eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts fordern. Auslöser seien gezielte Maßnahmen von Seiten der Alternative für Deutschland (AfD) gegen gemeinnützige Vereine. Weil diese u. a. Demonstrationen gegen Rechtsextremismusorganisiert haben, seien sie beim zuständigen Finanzämtern wegen (einseitig) politischer Betätigung gemeldet worden. Vereinzelt zweifeln nun die Finanzämter den Status der Gemeinnützigkeit betroffener Vereine an und drohen zuweilen mit der Aberkennung desselben. Über solche Fälle und den Brandbrief berichteten in den vergangenen Wochen diverse Medien (u. a. Tagesschau, MDR und Deutschlandfunk sowie der Spiegel).
Der Gemeinnützigkeit steht es nach derzeit gültigem Recht grundsätzlich entgegen, wenn sich Organisationen politisch betätigen. Dies hatte der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem grundlegenden Attac-Urteil vom 10.01.2019 (Az. V R 60/17) entschieden. Demnach liege in der Verfolgung politischer Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung kein gemeinnütziger Zweck. Anders sehe es bei politischer Bildung aus, wenn diese sich in geistiger Offenheit vollziehe. Diese sei jedoch nicht förderbar, wenn sie eingesetzt werde, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen. Auf Basis dieser Rechtsprechung kann es daher problematisch sein, wenn sich gemeinnützige Organisationen ausdrucksstark gegen rechtspopulistische Tendenzen stellen und entsprechende Veranstaltungen abhalten oder einseitige Informationen verbreiten. Eine grundsätzliche Untersagung politischer Betätigung, wie man dies immer wieder einigen Medienberichten entnehmen kann, war mit dem Attac-Urteil des BFH jedoch nicht verbunden, sodass sich in Ermangelung ausreichender Klarstellung Unsicherheit bei den gemeinnützigen Akteuren und der Finanzverwaltung auftat.
Dieser Entwicklung wollte die Ampel-Koalition entgegentreten und versprach im Koalitionsvertrag eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts, um die Verunsicherung gemeinnütziger Träger zu beseitigen respektive einzudämmen. Diesem erfreulichen Versprechen sind die Regierungsparteien bisher allerdings nicht nachgekommen.
Derweil hatte das Bundesministerium für Finanzen (BMF) im Februar 2022 mit einer Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zwar auf die Rechtsprechung des BFH reagiert und verlautbart, dass sich gemeinnützige Organisationen “außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen” äußern dürfen. Diese dem Grunde nach begrüßenswerte Anpassung von Seiten der Finanzverwaltung sorgte in der Praxis allerdings für weitere Unsicherheit, da das Wort “vereinzelt” neue Fragen zum Umfang und den Grenzen politischen Engagements aufwirft.
In ihrem Brief vom 18.06.2024 fordern gemeinnützige Organisationen die Regierung daher dringlichst auf, dem Koalitionsversprechen nachzukommen und eine Gesetzesreform in Gang zu bringen.
Wir begrüßen und unterstützen die Forderungen, die an Bundeskanzler Olaf Scholz gestellt werden. Es ist u. E. eindeutig, dass das aktive Eintreten für unsere Demokratie gemeinwohlfördernd ist. § 51 Abs. 3 AO setzt für eine Steuervergünstigung voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung fördert. Es muss dann auch möglich sein, sich als organisierte Zivilgesellschaft solchen Akteuren entgegenzustellen, die diesen unantastbaren Grundwerten zuwiderhandeln – und erst recht, wenn sie – wie die AfD – als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden. Dies gilt u. E. gleichermaßen auch für alle gemeinnützigen Organisationen und nicht nur für solche, die nach ihrer Satzung explizit das demokratische Staatswesen allgemein fördern (§ 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 AO), mithin sich konzeptionell damit befassen. Mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit zu drohen, ist u. E. erst dann zu rechtfertigen, wenn die Beeinflussung der politischen Meinungs- und Willensbildung außerhalb der Satzungszwecke eine nachhaltige Tätigkeit der Körperschaft darstellt, mithin diese Form der grundsätzlich nicht gemeinnützigen Betätigung zum Selbstzweck erstarkt.
Wenn die gemeinnützige Tätigkeit Ihrer Organisation wegen (zu) politischer Betätigung von Seiten der Finanzverwaltung angezweifelt wird oder die Aberkennung der Gemeinnützigkeit droht bzw. Eingetreten ist, so wenden Sie sich gern an uns. Wir unterstützen Sie bei der entsprechenden Auseinandersetzung mit den Finanzbehörden gern und mit unserer vollen Expertise.
Foto: Bundesregierung/Hofmann